Würdigung Dr. Friedemann Nassauer
Rückblick auf zwei Jahrzehnte Führung des Marburger Konzertvereins

18 Jahre, also fast zwei Jahrzehnte lang, hat Dr. Friedemann Nassauer die Geschicke des Marburger Konzertvereins in seiner Funktion als dessen Vorsitzender und hauptverantwortlicher Programmgestalter maßgeblich bestimmt.

Nachdem er dem Verein sein nahezu unerschöpfliches Fachwissen bereits in den Jahren 1997 und 1998 erst in der beratenden Funktion eines Künstlerischen Beirats und dann im Vorstand – sogar auch für juristische Fragen – zur Verfügung gestellt hatte, wurde er von seinem Amtsvorgänger, dem im letzten Jahr verstorbenen Prof. Dr. Otfried Madelung, als stellvertretender Vorsitzender in den Vorstand geholt. Nach nur zwei kurzen Jahren der Einarbeitung in die vielfältigen Aufgaben eines Konzertveranstalters übernahm Dr. Nassauer am 23. April 2001 endgültig die Verantwortung als Vorsitzender des Konzertvereins.

Seine Begeisterung für die Musik und die Verbindung zum Verein reichen aber noch weit länger zurück. So spielt er seit seinem achten Lebensjahr selbst Violine und nahm bereits als Schüler den Weg aus Biedenkopf auf sich, um die angebotenen Konzerte zu besuchen. Schon damals machte er sich dem Verein, zunächst noch in der Rolle des Notenwenders, unentbehrlich. Später war er als Geiger im Marburger Kammerorchester unter Horst Pusch selbst Teil der Konzerte. Dass sich daraus später die Rolle des Hauptverantwortlichen für die ganze Konzertreihe entwickeln würde, war damals so noch nicht abzusehen. Die jahrelange Verbundenheit mit dem Konzertverein wie auch sein musikalischer Kenntnisreichtum bezüglich der Werke und der ausführenden Künstler machten ihn jedoch zu einem idealen Kandidaten für das Amt des Vereinsvorsitzenden.

Neben seiner herausfordernden beruflichen Tätigkeit als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Kassel ab 2002 bekleidete er damit über fast zwei Jahrzehnte ein Ehrenamt, das einen hohen zeitlichen Aufwand und außergewöhnliches persönliches Engagement erforderte. Und so hat er verdientermaßen im April dieses Jahres mit seinem 70. Geburtstag dieses Amt weitergegeben.

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Seine Zeit als Vorsitzender des Marburger Konzertvereins in wenigen Worten zu beschreiben, fällt nicht nur schwer, sondern ist nahezu unmöglich. Jede Konzertsaison hatte so viele herausragende Konzerterlebnisse zu bieten, an die wir an dieser Stelle gerne erinnern würden. Exemplarisch für viele unvergessliche Konzerterlebnisse seien an dieser Stelle aber einige der wichtigsten genannt.

Zu den Ereignissen mit der größten Publikumsresonanz gehörten zweifelsohne die großen Sinfoniekonzerte mit bekannten Orchestern wie etwa den Bamberger Symphonikern, dem hr-Sinfonieorchester, der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford, dem 80-köpfigen Sinfonieorchester Wuppertal oder dem begeisternden Bundesjugendorchester in der vorletzten Saison. Immer standen für Friedemann Nassauer aber die Qualität der eingeladenen Künstler und die Entwicklung spannender Konzertprogramme im Vordergrund seiner Arbeit und so fallen in seine Zeit als Vorsitzender auch begeisternde Konzerte mit ausgesuchten Kammerorchestern aus dem gesamten europäischen Raum und ihren hochrangigen Solisten. Gerne erinnert man sich an unvergessene Abende mit Klangkörpern wie dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt – der Bericht der Oberhessischen Presse schließt mit den Worten: „Was für ein Konzert!” –, dem Stuttgarter Kammerorchester oder der Cappella Istropolitana, die mit dazu beigetragen haben, dass dem Marburger Publikum in den letzten zwei Jahrzehnten ein wunderbarer Querschnitt durch die europäische Orchesterliteratur der letzten vier Jahrhunderte geboten wurde. Neben den großen Sinfonien und Konzerten von Beethoven, Schumann, Brahms, Haydn oder Mozart fanden sich auch immer wieder seltener gespielte Werke wie Regers virtuoses Violinkonzert, für dessen Interpretation überhaupt erst ein Künstler gefunden werden musste, der bereit war, diesen schwierigen Part einzustudieren. Aber auch Komponisten wie Krzysztof Penderecki, Witold Lutosławski, Charles Ives, Arnold Schönberg oder Arvo Pärt waren immer wieder zu hören.

Neben der Liebe zur sinfonischen Musik galt ein besonderes Augenmerk Friedemann Nassauers aber auch der Kammermusik in all ihren Formen und Facetten und so haben sich unter seinem Vorsitz nicht nur absolute Stars der Szene sondern immer wieder auch junge aufstrebende Talente die Klinke zum Marburger Bühneneingang in die Hand gegeben.

Unvergessen sind Abende mit Weltstars wie dem Beaux Arts Trio, Bruno Leonardo Gelber, Isabelle Faust, Matt Haimovitz, Konstantin Lifschitz, den Brüdern Paratore, Angela Hewitt, Steven Isserlis oder Midori.

Mindestens genauso wichtig waren aber die Abende, an denen junge Künstler sich zeigen konnten, die heute den Anschluss an diese Weltspitze gefunden haben. So war die damals erst 16-jährige Veronika Eberle als Ersatz für Julia Fischer eingesprungen und verzauberte mit ihrer Violine nicht nur das Marburger Publikum, sondern inzwischen Musikliebhaber weltweit. Ähnliches gilt für den beim ersten Auftritt in Marburg erst zwanzigjährigen Geiger Sergei Dogadin und auch zuvor schon den Pianisten Kirill Gestein, zu dessen Auftritt im Januar 2004 die Kritik schreibt: „Der Konzertverein hat viel Weitsicht bewiesen, als er diesen jungen Musiker, dem man mit Recht eine große Zukunft prophezeit, vor gut zwei Jahren nach Marburg einlud.“

Achtzehn Jahre als Vorsitzender des Marburger Konzertvereins – das ist ein Marathon. Und „Marathon-Programme“ gehören auch zu den besonderen Konzertereignissen, welche die Ära Nassauer mit geprägt haben und die in 2004 mit einem unvergessen Abend mit dem New Yorker Cellisten Matt Haimovitz ihren Anfang nahmen. Eingeläutet von den Glocken von Peter und Paul brachte Haimovitz an diesem Abend alle sechs Cello-Suiten Johann Sebastian Bachs zu Gehör – und läutete damit gleichzeitig eine Reihe ähnlicher Veranstaltungen ein. So erklangen 2008 alle sechs Bachschen Sonaten und Partiten für Violine solo mit Kristóf Baráti in einer beeindruckenden Interpretation und Atmosphäre großer Ruhe. Martin Stadtfeld brachte im Abstand von fünf Jahren in seiner unnachahmlichen Art die beiden Teile des Wohltemperierten Klaviers zu Gehör und trug damit Teil drei und vier zu einem umfassenden „Bach-Marathon“ bei. 2015 spielten Kristóf Baráti und Klara Würtz alle zehn Violinsonaten Ludwig van Beethovens an zwei Abenden hintereinander und in der letzten Saison schloss sich ein Abend mit Jakob Spahn und Nicholas Rimmer und sämtlichen Cello-Sonaten von Johannes Brahms an.

Auch auf den Liederabenden lag immer ein besonderes Augenmerk des Vereinsvorsitzenden, so dass Künstler wie Christoph Prégardien, Daniel Behle, Hanno Müller-Brachmann oder Michael Nagy ihr Können in Marburg ebenso unter Beweis stellten wie international renommierte Sängerinnen wie Juliane Banse oder Polina Pasztircsák.

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Eine schwierige Phase für den Marburger Konzertverein und damit für seinen Vorsitzenden war die Zeit des Umbaus des Erwin-Piscator-Hauses, denn diese bedeutete den Verlust der angestammten Spielstätte und damit weitreichende organisatorische Änderungen. Das Exil im Audimax hat der Verein jedoch dank der gemeinsamen Arbeit Friedemann Nassauers und seines langjährigen Geschäftsführers Manfred Eckhardt unbeschadet überstanden. Mit besonders hochkarätigen Programmen und mit bis zu fünf Orchesterkonzerten in einer Saison wurde trotz angespannter Finanzlage einem befürchteten Zuschauerschwund erfolgreich entgegengewirkt. Durch den Stamm treuer Abonnenten konnte in Marburg trotz der aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen allgemein schwierigen Lage von Konzertreihen klassischer Musik das gewohnt hohe Niveau gehalten werden. Friedemann Nassauer hat es über die Jahre verstanden, mit der interessanten Auswahl der Programme und durch die kontinuierlich hohe Qualität der engagierten Künstler eine Konzertreihe zu gestalten, die mit ihrem besonderen Charakter ihresgleichen sucht. Dieser besondere Charakter, der sich aus der Mischung zwischen Konzerten auf internationalem Niveau einerseits und der persönlicher Atmosphäre auf der anderen Seite ergibt, wird von Künstlern und Publikum immer wieder bestätigt. Friedemann Nassauer hat es durch sein Gespür für besondere Werke und besondere Künstler und den persönlichen Kontakt zu ihnen verstanden, der Konzertreihe genau diesen ihr eigenen Charakter zu verleihen.

18 Jahre im Amt des Konzertvereinsvorsitzenden, das entspricht der Lebenszeit eines Menschen von der Geburt bis zur Volljährigkeit. Wir als seine Nachfolger sind sehr dankbar, dass er uns auch in Zukunft mit seinem umfassenden musikalischen Wissen und seinen unbezahlbaren Kontakten auf dem Weg in unsere musikalische Volljährigkeit begleiten wird.

Der Vorstand des Marburger Konzertvereins


Im Rahmen des „Kleinen Konzertfestes“ mit Jakob Spahn als Solo-Cellist am 18. Oktober 2018 dankte der Marburger Konzertverein Dr. Friedemann Nassauer für seine Arbeit und seinen Einsatz. Diese Würdigung erschien in der Festschrift zum Abendprogramm.

Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies überreichte zu diesem Anlass Dr. Friedemann Nassauer das Historische Stadtsiegel der Universitätsstadt Marburg in Anerkennung seiner weitreichenden ehrenamtlichen Tätigkeit.